Kunst als Baustelle
Die Nationalgalerie zeigt Eberhard Bosslet
Die Ausstellung hatte noch nicht begonnen, als Eberhard Bosslet gefragt wurde, was denn nach der Ausstellung mit all dem geschähe was die Nationalgalerie im Kunstforum zeige. Der seiner Zeit vorauseilende und fragende Herr bei der Vorbesichtigung für die Presse hatte offensichtlich seine Schwierigkeiten mit dem, was er im Kunstforum sah: Mit dem auf dem Parkett liegenden Kreuz aus 89 Tekko-Schalungselementen, 80 Stahlrohr-Deckenstützen, Stoßklemmen und Bolzen.
Der Künstler erklärte ihm, daß alle Elemente geliehen seien und den Baufirmen zurückgegeben würden. Ja, und wo bliebe dann die Kunst? Nun, ist das Kreuz erst einmal demontiert, dann ist das "B 3/89 II", wie Bosslet sein Raster betitelt, nurmehr Material vom Baumarkt, was es auch war, bevor es bis Mitte Mai Kunst wurde.
Die Schwierigkeiten mit Bosslets Kunststücken beginnen jedoch schon, bevor die Materialien wieder auseinander genommen werden. Bosslet stellt keine Schauobjekte in den Raum, sondern Fragen. Wer nicht aufpaßt, stolpert über seine Modul-Konstruktionen. Die bestehende Architektur wird befragt, indem sie auf ihre Ausgangssituation zurückgeführt wird, als sie noch eine "Baustelle" war, so Britta Schmitz im Katolog.
Noch eindeutiger zielt Bosslet auf Positionen einer Baustelle mit "Grundkredit", einem Stück, das innerhalb seiner Werkgruppe der "Unterstützenden Maßnahmen" entstanden ist. Die Montage in der GrundkreditBank darf getrost als ironische Bemerkung zum Ausstellungsort beläche!t werden. Bosslet schafft aus Schalttafeln, Deckenstützen und Schalungsteilen eine quadratische Anlage, die zwar unterstützend das architektonische Maß aufgreift, doch in dem Fall, in dem sie nicht genau austariert wäre, im Atrium des Kunstforums eine gewaltige Materialhalde hinterließe.
Kreuz "B 3/89 II" und "Grundkredit" wagen sich zur Substanz der Architektur vor. Beide Arbeiten verweisen die Architektur jedoch auch in ihre Grenzen. Trennt der Architekt den inneren vom äußeren raum, um eine äußere Form und einen eingeschlossenen Innenraum zu schaffen, geht es Bosslet darum, den ganzen raum einzunehmen. Ihn macht er sichtbar. Die Decke des Kunstforums hält, auch ohne die "unterstützende Maßnahme" Bosslets. Doch die Last der Decke wird erst sicht- und spürbar auf Grund der 38 Deckenstützen, die zwischen die Basis aus den Schalungselementen und den Fries aus den Schalttafeln geklemmt sind. Scheinbar tragen sie die Decke, realiter stemmen sie sich gegen sie.
Ähnliches demonstrierte Bosslet auf der documenta vor zwei Jahren. "Anmaßend I" und "Anmaßend II" standen in einem Treppenhaus des Fridericianums in Kassel lotrecht untereinander, lediglich getrennt durch die Decke der ersten Etage beziehungsweise den Boden der zweiten Etage. Was sich Bosslet anmaßt: Daß Vorhandenes und Gemachtes sich untrennbar verbinden.
Das zweite Thema, das Bosslet im Kunstforum behandelt, verweist ebenfalls auf die alltägliche Umwelt. Während die Arbeiten aus der Werkgruppe "Unterstützende Maßnahmen" unmittelbar auf das Bauen zielen, beschäftigt sich der 1953 in Speyer geborene und in Berlin und Duisburg lebende Künstler in seiner jüngsten Werkgruppe mit der Bürokratie. Aktenschränke werden zum "Sachzwang", zum "Befehl", zu "Nixdorf". Dazu zerlegt Bosslet, der in seiner Berliner Akademiezeit mit Kollegen "Material & Wirkung e. V." gründete, ordinäre Aktenschränke, um ihre einzelnen Teile hernach mit Eisenbändern neu zusammenzufügen. Ein Verweis auf die Konstruktionen, mit denen die russischen Künstler im und nach dem Ersten Weltkrieg auf die Suche nach der Wirkung von Material, Farbe und Struktur gingen, liegt nahe.
Der Umstand, daß die groben Montagen mit ihren klaren Geometrien sich in dem eleganten Rundraum des Kunstforums zu behaupten haben, akzentuiert Bosslet zusätzlich mit einem einfachen Trick mit raffinierter Wirkung: Er läßt das zentrale Licht ausgeschaltet und kreiert somit Raum für den äußeren Lichteinfall. Diese "unterstützende Maßnehme" hebt Bosslets eigene Konstruktionen in die Atmosphäre zurück der sie entstammen: In die Schatten der Arbeitswelt.
Alexandra Glanz